RSG Steinbeck Homepage


Home arrow News arrow Wichtige Infos arrow Drei-Länder-Giro 2008
19.04.2024
Hauptmenü
Home
News
Geschichte
Training
Bilder
Forum
Berichte
Rennradkalender
Links
Kontaktinfo
Suchen
Bild des Tages
34 % !
Drei-Länder-Giro 2008 Drucken
Geschrieben von Stefan Skopnik   
16.07.2008

Klaus Plois hat sein Saisonhighlight 2008 mit dem Drei-Länder-Giro gesetzt und seine Eindrücke in einem fesselnden Bericht zusammengefasst.

Viel Spaß beim Lesen, unten auf "Weiter" klicken... Lächelnd

Drei Länder, drei Pässe, 3.400 Höhenmeter: Rundfahrt für alle Sinne von Nauders über das 2.757 Meter hohe Dach des Giro zum Ofenpass und Norbertshöhe.

Radsport: Fußball ist nur das halbe Leben. Was tun, wenn die Rampen im Tecklenburger Land nicht mehr steil genug sind und die Trainingsrunden im Rennradsattel über die Schwarzwaldhöhen (Belchen, Kandel, Blauen, Kreuzweg) in den letzten Jahren (Trainingslager) von der Herausforderung zum Alltag werden?

Dann lockt den Hobbypedaleur das Hochgebirge. Eine Rennradfahrerin und zwei Radfahrer der RSG-Steinbeck kämpften sich am Wochenende bei Gluthitze zusammen mit 3.100 Gleichgesinnten beim 15. Dreiländergiro vom österreichischen Nauders am Reschenpass hinunter nach Südtirol über Stilfserjoch und Ofenpass durch den Schweizer Nationalpark 170 km weit zurückgiro_und_six-days_2008_268_medium.jpg zum Startort.

Nauders, morgens um sechs: Vergessen die Nacht in der wir in Sorge um unsere Gipfeltauglichkeit im Bett rotiert sind und keine 60 Minuten lang die Augen zugemacht haben. Um vor lauter Hibbeligkeit fast den eigenen Namen zu vergessen, braucht`s keinen Koffein. Um uns herum nur furchterregend gut gelaunte Pedaleure, die gestählten Waden gut geölt, das mit drei - vier Monatslöhnen gezüchtete Carbongefährt (oder dem etwas einfachen Alu-Carbongefährt) zwischen die Beine geklemmt. Unter mehr als 3.000 Wildentschlossenen in bunten Trikots sind keine Zweifler in Sicht. „Du musst einfach nur fahren und ein klein büschken klettern.“ Nur fahren? Der Stadionsprecher bringt`s in Luis-Trenker-Deutsch auf den Punkt: „Aufi müßt`s“.

06:30 Uhr Startschuss Aufi geht`s Ruppig, statt ruhigem Einrollen Raserei im Tretlager. Und das bergauf. Vorwärts stürmen in Zehnerreihe. Rangeln um jeden Meter. Hechelnde Leiber links und rechts, Drängler am Hinterrad. In jeder Bisonherde geht`s gesitteter zu. Jetzt nur nicht denken, treten, treten, treten, treten. Kaum sieben Minuten auf der Flucht, liegt Österreich hinter uns. Am Reschensee kitzeln die ersten Sonnenstrahlen, abgelenkt vom gefluteten Kirchturm.

06:50 Uhr, Blitze aus heiterem Himmel. Die italienischen Carabinieri grinsen schelmisch, als wir auf der Talfahrt in der Vinschgau mit Tempo 50 bis 70 die Radarfalle in der 30er-Zone zu Belichtungssalven zwingen. Dröhnendes Gelächter im Pulk und ein Wunsch - dieses Gruppenfoto hätte jeder gern.

Kilometer 30, Glurns: Ko-Ko-Kopfsteinpflaster. Die Granitwacken auf dem Marktplatz bescheren uns in Südtirols kleinster Stadt die erste Rüttelmassage des Tages. Genugtuung beim Blick auf den Tacho: Schnitt 35 - 40, Puls 150 - 170, Motivation 1.000 Prozent, sorgenfrei.

Prad, 900 Meter über Wasserspiegel: letzte Sekunden des Stimmungshochs - am Tiefpunkt des Dreiländer-Giro hat die Raserei durch Obstplantagen und Weinberge ein Ende. Die Kette fällt nach links. Das Peloton zerbröselt. Der Berg ruft.

Trafoi: Hoi! Der Berg riecht. Die ersten 600 Klettermeter im Sattel haben dem letzten Hauch von Deo den Garaus gemacht. Dabei sind wir erst am Fuß des Stilfserjochs, vielleicht gerade mal auf Wadenhöhe der Königin aller Pässe. Schweiß verdunstet aus allen Poren in der Morgensonne. An der Betonmauer, die wie ein Strumpfband den Wald zurückdrängt.

Kilometer 51, Kehre 48: Jetzt stecken wir drin im Joch. Die Kletterei wird zum Kraftakt, 14 Prozent Steigung, elf Stundenkilometer Vortrieb, kurbeln, keuchen, noch 1.200 Höhenmeter bis zum Gipfel.

Kehre 45: Klettern mit einem „Schnitt“ von neun Kilometern pro Stunde. Wenn wir so weitermachen, wird`s Nacht, bis wir das Ziel sehen. Der Biss wird zahnlos. Linkser als links will die Kette nicht klettern.

Kehre 40, Die Kletterei ist nur noch Schleichfahrt. Jetzt kämpft jeder mit sich allein, gemeinsam einsam mit ein paar tausend.

Kehre 28, Der Bergwald verkrüppelt zu Latschen und gibt den Blick frei in gähnende Tiefe und auf erhabene Größe. Im Nacken grüßt gleißend der Ortler. Ein verführerischer Aufi-mueß-i-Gipfel. Uns bleibt nur Asphalt, stilles Leiden und Halluzinationen.

Kehre 1, Verpflegungsstation. Fast oben! Allmachtsfantasien zum Beinahe-Hungerast, Druckbetankung des Muskelmotors, eine Banane für die Sinne, klebriges Energie-Gel aus der Tube für den Vortrieb, 1,5 Liter Wasser in die Trinkflaschen. 3:40 Stunden nach dem Start in Nauders ist das die Höhe: 2.757 Meter über NN - Stilfserjoch erreicht.

Nach zehn: Abwärts, Kette rechts. Den Rücken lang machen, über Serpentinen 200 Meter tiefer rauschen mit Tempo 60, der italienischen Zollbeamtin zuzwinkern, die eine von Bormio heraufdrängende Herde Ferraristi im Zaum hält und uns schwungvoll den Weg in die Schweiz weist. Am Umbrailpass wartet Verdruss. Ca. drei Kilometer Naturstraße, gespickt mit milchzahngroßen Kieseln, sind bei zehn Prozent Gefälle auf fingerdickem Pneu kein Genuss. Wer hier nicht bremst, stürzt. Wer drauf hält, dem geht die Luft aus. Ein Dutzend Radler steht fluchend und flickend an der Piste.

Kilometer 78, Schluss mit der Natur. Schwingen auf Asphalt. Mit Katzenbuckel und beim Bremsen mit verkrampften Händen durch Kurven im Bergwald. Die Felgenflanken werden heiß wie Bunsenbrenner. Das wär`s doch: Spiegelei braten am Reifenrad. Wir träumen von schönem Essen und verstören den Magen mit Klebe-Gel, weil wir uns das bisschen Biss, das uns geblieben ist, nicht zum kauen verschwenden wollten.

Kilometer 90, 5.000 Meter vor dem Ofenpass packt uns die Sinnkrise. Diesen Sch.....berg! Im Straßengraben liegen, von der Hitze gefällt, ein paar Pedaleure. Bei dreißig Grad ohne Schatten pocht das Herz wie ein Hamerwerk unterm Schädel. Gewitter im linken und rechten Oberschenkel. Blitze in der Wade und Rebellion in der Speiseröhre, das letzte Gel will zurück an die Sonne. Dazu ein furchtbarer Gedanke: Was hilft bei Krämpfen? Gaaaanz langsam kämpfen!

Ofenpass 2.150 Meter überm Meer. Genug gekrochen. Keine Lust mehr auf Schneckentempo. Wir brauchen Fahrtwind, um die von der Sonne versengten Ohren zu kühlen. Kette rechts, zum Tiefflug über Asphalt hinunter ins Engadin in den Schweizer Nationalpark. Mit 80-100  wie auf Schienen durch weitgeschwungene Kurven. Wir rasen ohne Reue mit Blick auf verschneite Berge und glotzende Kühe. Das bisschen Blech auf vier Rädern vor uns ist kein Problem. Wir überholen einfach.

Susch, Schweiz, Noch 45 Kilometer bis ins Ziel. Gegenwind bei 38 Grad im Schatten. Wer jetzt allein ist, hat die Wahl zwischen Verdursten und Verdampfen. Aus Einzelfahrer werden kleine Gruppen.

Martina, Zollstation: Genug mit Schweizer-Schweiß. Die letzten acht Kilometer bis Nauders sind eine läppische Distanz mit garantierter Qual: 12 Kehren und 430 Höhenmeter trennen uns von der Norbertshöhe.

Kehre 12: Aus Radlern werden Fußgänger, Hilferufe aus dem Straßengraben in den Kehren 9-7. „Diese Mörder“. Wir kurbeln, irgendwie, mechanisch. Flasche leer. Nicht einmal mehr Kraft zum Schwitzen.

Kehre fünf: Der Rücken schmerzt, der Hintern taub, Waden und Schenkel zucken wie Zitteraale. Der letzte von 3.400 Höhenmetern - Norbertshöhe. OBEN! Tief unten lockt Nauders. Die letzten zwei Kilometer ins Tal sind mehr Schweben als fahren. Plötzlich ist da das Gefühl, noch stundenlang so weiterkurbeln zu können.

Kilometer 168: Arme recken, solo ins Ziel, dürren Beifall ernten.

 

Es gibt Tage im Leben, die sind nicht in Worte zu fassen
und nicht zu erklären!

 

Letzte Aktualisierung ( 30.11.2008 )
 
Design by Joomlateam.com | Customized by Stefan Skopnik |